Kategorien
Gedanken

Was ist eigentlich „normal“?

Wer bestimmt was normal ist und was passiert, wenn jemand oder etwas nicht normal ist?

🛈 Dieser Beitrag enthält unbeauftragte Werbung und kann mit einem * markierte Affiliate-Links enthalten. Durch die Teilnahme an Partnerprogrammen (siehe hier) erhalte ich für qualifizierte Verkäufe eine Provision. Der Preis bleibt für dich gleich. Lies mehr unter Werbekennzeichnung und Transparenz.


Was ist „normal“?

Die verbreitete Definition von „normal“ besagt, dass etwas „normal“ ist, das einer Norm entspricht, die von einer bestimmten Gruppe als gültig angesehen wird. Etwas das so ist, wie es eine Gruppe für sich als üblich und/oder richtig definiert. Einige Normen sind allgemeingültiger und werden in weiten Teilen der Gesellschaft als „normal“ angesehen (wie z.B. dass es „normal“ ist, arbeiten zu gehen, tierische Produkte zu essen, keine Menschen zu töten usw.), andere gelten nur innerhalb einer bestimmten (kleineren) Gruppierung. Normalität ist relativ und abhängig vom Individuum und der Bezugsgruppe.


(Wofür) Brauchen wir Normen?

Normen sind ein Teil unseres Lebens. Jeder Mensch, jede Gruppe oder Gesellschaft hat bestimmte Werte aus denen heraus sich Normen als Handlungsregeln formen. Sie dienen zum Schutz der Werte (z.B. Freiheit, Frieden, Gerechtigkeit) einer Person, Gruppe oder Gesellschaft. Darüber hinaus sorgen einige Normen für eine gewisse Orientierung, Routine, Sicherheit und Vertrautheit im Zusammenleben und Miteinander. Sie schaffen im Alltag die notwendige Entlastung, damit wir nicht ständig neu entscheiden, umdenken und abwägen müssen.

Gleichzeitig gibt es Normen, die veraltet und / oder ungeeignet sind (z.B. der Mann als Ernährer der Familie, der mehr Geld verdienen muss oder die Vorstellung davon, dass der Mensch Fleisch essen muss, um gut versorgt zu sein). Gegen eine solche Norm zu handeln, um unpassende Handlungsregeln ggf. sogar aufzuheben, wird als „Normbruch“ bezeichnet. Normbrüche können funktional wichtig für die Gesellschaft und ihr Wertewachstum sein (z.B. in Bezug auf Gleichberechtigung, Toleranz, Ethik o.ä.).

Einige Normen kollidieren mit unterschiedlichen Werten und werden von verschiedenen Gruppen unterschiedlich wahrgenommen. Ein Wert, der mir persönlich z.B. wichtig ist, ist Selbstbestimmung. Dieser Wert kollidiert mit gewissen gesellschaftlichen Normen (auch in Form von Gesetzen), da es zahlreiche Dinge gibt, die ich nicht selbst bestimmen darf (z.B. ob mein Kind in die Schule geht, wie ich mein Haus anstreiche / mein Grundstück nutze, ob ich versuche autark zu leben, gar keinen Müll mehr zu produzieren, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit meinem Geld mitfinanzieren möchte usw.).

Ich persönlich bin aus meinem Wertesystem und meinen Bedürfnissen heraus der Meinung, dass wir gewisse Normen nicht benötigen, ein anderer Mensch würde es aus einer anderen Position heraus aber anders beurteilen (die Schulpflicht ist z.B. für Menschen, die keine Möglichkeiten haben, ihre Kinder Zuhause zu unterrichten oder einen geringen Zugang zu Bildung haben, eklatant wichtig) 

Insofern ist die Entscheidung darüber, ob wir eine bestimmte Norm benötigen, in einigen Bereichen sehr individuell, in anderen Bereichen (z.B. dass Morde bestraft werden) hingegen unumstritten sinnvoll und notwendig.

Alkohol gehört zum Leben dazu.
Normal?

Alkohol gehört zum Leben dazu. Unnormal?


Wer bestimmt, was „normal“ ist?

Wie und von wem definiert wird, was „normal“ ist, hängt von vielen Faktoren ab (u.a. Generation, Zeit, Kultur, Religion, Gruppe, Prägungen etc.) und würde mit der Darstellung aller Facetten den Rahmen sprengen. Die Arten, die (meiner Meinung nach) zur Bestimmung besonders verbreitet sind:

  • Weitestgehend allgemeingültige Definitionen von „Normalität“, die z.B. durch den Kulturkreis, die Kirche, die Politik, die Wirtschaft, die Geschichte, die Medien o.ä. vorgegeben werden und vom Großteil der Gesellschaft nicht in Frage gestellt werden (z.B. die verbreiteten Vorstellungen von vermeintlich „klassischer“ Ehe und Familie sind zu einem Großteil durch die Kirche geprägt worden)
  • Eine oder mehrere Gemeinsamkeiten (in Form von Denkweisen, Lebensarten, Interessen o.ä.), die eine Gruppe zusammen bringen und ihr „normal“ innerhalb dieser Gruppe prägen (z.B. „aus ethischen Gründen vegan essen“)
  • individuelle Vorstellungen von „Normalität“, die aus den eigenen Prägungen, der Sozialisation, den Lebensumständen und Erfahrungen heraus geformt werden.
  • die individuelle Bestimmung davon, was für einen selbst „normal“ ist, erfolgt häufig über einen routinierten Automatismus (z.B. würde hier in Deutschland wohl nahezu jeder zustimmen „Es ist normal, dass ich mich anziehe.“), sowie über ein Zugehörigkeitsgefühl (wenn wir beim Thema bleiben z.B. Menschen, die draußen gerne nackt sind und für die es, insbesondere innerhalb eines Kreises aus Gleichgesinnten z.B. beim FKK Camping, „normal“ ist, draußen nackt zu sein)

Paradox: „Ich bin nicht wie ihr!“ vs. „Ich möchte zu euch gehören!“

Auf den ersten Blick wirkt es paradox, dass wir Menschen einerseits so vehement damit beschäftigt sind, bloß nicht „normal“ zu sein und uns von der Masse abzuheben und andererseits nach Zugehörigkeit zu streben.

Wenn wir uns bewusst machen, warum wir nach Individualität streben und was uns Zugehörigkeit gibt, dann ist das gleichzeitige Streben danach meiner Meinung nach nicht mehr paradox.

Die Bedürfnisse hinter beiden Wünschen sind nämlich sehr ähnlich. Wir wünschen uns, mit all dem was uns ausmacht, gesehen, geliebt und anerkannt zu werden. Die Anerkennung erfolgt letztlich u.a. durch die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. 

Das Spannende dabei: innerhalb einer Gruppe stimmen wir unser Verhalten regelrecht aufeinander ab und passen uns an das Gruppeninterne „normal“ an (als plakatives Beispiel z.B. die Gothic-Szene, in der es mit großer Wahrscheinlichkeit „unnormal“ wäre, ein Kleid in Regenbogenfarben zu tragen), es entsteht eine Art kollektive Identität.

Die Gruppe grenzt sich nach Außen durch ein „Wir sind nicht wie ihr!“ ab, während das Individuum in der Gruppe sich zugehörig und gleichzeitig, durch die kollektive Abgrenzung zu Menschen außerhalb der eigenen Gruppe, meist auch individueller fühlt.


Was passiert, wenn jemand/etwas nicht „normal“ ist?

In jeder Gruppe gibt es bestimmte Akzeptanzgrenzen. Werden diese Grenzen missachtet, drohen Sanktionen. Im schlimmsten Fall in Form einer vollständigen gesellschaftlichen und / oder staatlichen Ausgrenzung (z.B. bei bestimmten sozialen Randgruppen wie obdachlosen / kriminellen oder drogenabhängigen Menschen) oder einer teilweisen gesellschaftlichen und / oder staatlichen Ausgrenzung (z.B. in Heimen, Unterkünften für Geflüchtete, Sonderschulen, speziellen Arbeitsstätten für Menschen mit einer Behinderung, aber auch z.B. bei Alleinerziehenden, unverheirateten Paaren oder Homosexuellen, die ebenso eine Form staatlicher Ausgrenzung erfahren).

Insgesamt wird nahezu jeder Mensch, der innerhalb einer Gruppe eine andere Norm vertreten hat, Erfahrungen damit gemacht haben, innerhalb dieser Gruppe „(re)sozialisiert“ werden zu sollen und/oder ausgegrenzt worden zu sein (eben spätestens dann, wenn sich die Versuche der (Re)Sozialisierung als erfolglos heraus stellten).

Ausgrenzung ist (leider) zutiefst menschlich

Bewertungen sind etwas, von dem wir gelernt haben, dass es evolutionär vorteilhaft ist. Konnte ich als „Neandertalerin“ schnell einschätzen, was als Nächstes passieren würde und ob das für mich positiv oder negativ wäre, so erhöhte das meine Überlebenswahrscheinlichkeit ungemein. 

Heute gilt dieser „Überlebensgedanke“ vorwiegend im übertragenen Sinne: ist das, was passiert zu meinen Vor- oder Nachteil? Meiner Meinung nach liegt unser „Alarmglocken“-Fokus dabei natürlicherweise darauf, dass unsere Werte, Bedürfnisse und Normen eingehalten / erfüllt werden.

Treffen wir auf einen Menschen oder eine Gruppe, die außerhalb unserer Akzeptanzgrenzen handelt, sind Entwertung oder Ausgrenzung dieser Person(en) (meiner Meinung nach) ein psychischer und nahezu automatisch ablaufender Abwehr- und Schutzmechanismus. 

Unser Ziel ist die Erfüllung unserer Bedürfnisse und die gleichzeitige Abwehr von unangenehmen Problemen und Gefühlen.

Aus meiner Sicht ist Ausgrenzung ein zutiefst menschliches Vorgehen UND kann zugleich, durch die ehrliche Auseinandersetzung mit dem Thema, dennoch zumeist aktiv von uns gesteuert werden. Dazu im Folgenden mehr.

Ein Tiger in einem Zwinger.
Normal?

Ein Hund in einem Zwinger. Unnormal?


„Normal“ ist variabel

Ich zähle mich zu den Menschen, die (früher häufig, heute zum Glück bewusst immer weniger) in moralischen Schubladen von „gut“ und „schlecht“ oder „normal“ und „unnormal“ denken und urteilen.

Lange Zeit war ich fest davon überzeugt, dass es für alles ein „allgemeingültiges, immer richtiges Normal“ gibt. So gut wie nie hinterfragte ich von mir aus etwas. Wieso sollte ich etwas, „das schon immer so war“ (a.k.a. „voll normal“ ist) auch hinterfragen? 

Mit dieser Ansicht sind mir damals sicher zahlreiche Erfahrungen entgangen. Als Marius in mein Leben kam, löste er mein „normal“ Stück für Stück auf. Im Gegensatz zu mir ist Marius ein Mensch, der alles hinterfragt. Mit ihm lernte ich nicht nur, dass hinterfragen gar nichts Negatives ist, sondern auch, dass ich selbst Dinge hinterfragen darf und kann.

Im Laufe der Jahre löste sich immer mehr von dem auf, was ich als vermeintlich „normal“ definierte. Ein paar Beispiele für das, was in der Vergangenheit „normal“ für mich war:

  • alles zu glauben, was Menschen sagen, die ich für intelligenter hielt als mich (was auf so ziemlich jeden Menschen zu traf)
  • Alkohol zu trinken / Alkohol gehört zum Leben und zu jeder Party dazu
  • Aktivist*innen (insbesondere für Tiere & Umwelt) lächerlich zu finden
  • dass Tauben / Ratten / Schnecken öffentlich gequält und getötet werden, entsprechende Mittel frei verkäuflich sind und regelmäßig empfohlen werden
  • Tiere zu essen und dennoch zu behaupten, Tiere zu lieben
  • als Angestellte von morgens bis abends zu arbeiten, auch wenn ich krank bin und/oder schlecht behandelt werde
  • Tampons zu nutzen und Menstruationstassen eklig zu finden
  • bei Langeweile / Stress / auf Partys usw. zu rauchen
  • mir Ausreden auszudenken, statt ehrlich „Nein, ich habe keine Lust.“ zu sagen
  • Dinge zu kritisieren oder zu belächeln, ohne selbst etwas darüber zu wissen / erfahren zu haben
  • die Pille zu nehmen
  • Dinge, die andere verurteilen, ebenso zu verurteilen, auch dann, wenn ich gar nichts darüber weiß

Hätte man mich damals gefragt, ob Alkohol zu trinken „normaler“ ist, als keinen Alkohol zu trinken oder es „unnormal“ ist, auf tierische Produkte zu verzichten, hätte ich mit einem deutlichen „JA!“ geantwortet. Vieles war „normal“ für mich, weil mein „normal“ das meinte, was der Durchschnitt, also die meisten Menschen so tun / sehen. Heute sehe und lebe ich das anders.

In Bezug auf die genannten Beispiele lebe ich das totale Gegenteil. Nicht, weil ich auf Teufel komm raus gegen den Strom schwimmen möchte, sondern weil ich mich fragte, was ICH darüber denke / fühle und in vielen Bereichen bemerkte, dass die durchschnittliche Meinung dazu nicht meiner persönlichen Wahrheit entspricht.


Bücher zum Thema*


Hat dir der Artikel gefallen und/oder geholfen? Dann hinterlasse mir gerne einen Kommentar und teile den Artikel mit Menschen, die das Thema auch interessieren könnte. Danke für deine Unterstützung!

Eine Antwort auf „Was ist eigentlich „normal“?“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert